Klatschmohn

Das inklusive Theaterfestival in Hannover

Beispielprojekt

Die Märchenbraut – wie ein Stück entstehen kann

Gedanken zur Theaterrbeit mit jugendlichen Schülerinnen und Schülern einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen

Wenn man an Theater denkt, kommen einem sofort große Monologe wie “Sein oder nicht sein…“, das Auswendiglernen von Texten oder Casting-Shows in den Sinn.

Wenn ich allerdings an meine Theater-AG denke, frage ich mich immer als erstes, welche Idee die Teilnehmenden wohl dieses Mal wieder ausbrüten werden. Ob in diesem Jahr die gleichen Schülerinnen und Schüler dabei sein werden wie im letzten?

Oder ich überlege, ob ich Hinz oder Kunzine nicht einmal ansprechen sollte, ob er oder sie nicht Lust hat mitzumachen, einfach weil ich weiß, dass ihm oder ihr Theater spielen sooo gut tun würde.

Ein Casting zu veranstalten, ein Vorsprechen? Ist gar nicht nötig.

Alle können sie spielen, sie wissen es zu Beginn meist nur noch nicht.

Hat sich die Gruppe bunt zusammengefunden, kommen wir über zahlreiche Warm-ups,  und Improvisationen ins Spiel. Schnell fallen Hemmungen, Haltungen verändern sich. Es wird getextet und gespielt und es wird deutlich, dass das aus Zufall Entstandene ausbaufähig ist.

Kleine Sketche locken selbst den schüchternsten Charakter ins Rampenlicht. Man genießt sich und probiert sich aus. Als Spielleiter lenkt und bündelt man die Energien, hat immer einen Stift parat, damit Gelungenes nicht vergessen wird. Wer weiß? Dann kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem die Gruppe Inhalt fordert, wo es ernst wird und wo alle gemeinsam überlegen, wie unser Stück werden soll.

Alle? Die „alten Hasen“ sind sogleich Feuer und Flamme. Die „Frischlinge“ fragen:

„Führen wir das etwa auch bei ‚Klatschmond‘ auf?“ „Das heißt Klatschmohn! Ja sicher, was denkst du denn??“ „Oh nein, da komm ich nicht mit, da bin ich krank!!!“ „Dann holt Frau Bruhn dich ab, ätsch, jeder kommt mit.“ „Das ist cool da, du wirst schon sehen.“

Als Zuschauer waren sie fast alle schon mal da. Der Besuch des Festivals hat an unsrer Schule Tradition.

Ich kann die Aufregung meist mildern, denn so weit sind wir ja noch gar nicht und erfahrungsgemäß will die Gruppe ihr Stück, bzw. will  sich am Ende, nach fast einem Jahr Spielen, Denken, Texten und Probieren, sowieso jede/r präsentieren  (Ich musste noch nie jemanden abholen…).

Ziemlich schnell ist klar, dass es kein Krimi werden wird. „Das hatten wir doch schon! Nein, auch nichts Gruseliges, da haben sich letztes Mal die Kleineren doch so gefürchtet.“

So oder so ähnlich habe ich schon mit vielen Gruppen Stücke erdacht. Immer waren es Themen, die die Schüler selber brennend interessierten. Von Erpressung und verschmähter Liebe, über Romeo und Julia hin zu Mobbing und Besessenheit. Zuletzt die Sinnlosigkeit des Krieges. Für mich war der Weg das Ziel, für die Schüler war es der Moment, wenn sie glücklich von der Bühne gingen.

Ein Märchen wäre toll. Wir schauen uns einige Büchlein an. Welche Figuren gibt es denn? Schnell werden Troll, Fee, Prinz, Königin und Co auf einen Zettel geschrieben. Orte kommen dazu und Situationen. Wie verhält sich der Jägersmann, wie die Prinzessin? Die Improvisationen machen Spaß. Und nun? Worum soll es in unserem Märchen-Stück gehen? Um die Liebe natürlich!

Es ist die Woche der Toleranz. Jan Delay singt im Fernsehen von der Liebe. Aber was ist eigentlich Toleranz. Und wieso braucht man das in der Liebe. „Na du weißt doch…wenn Mann und Mann…“

Alles kichert. Die Jungs rutschen auf ihren Stühlen herum. Es ist denkbar, ja…“…aber nee, das gäbe ‚rischtisch‘ Ärger Frau Bruhn!“, sagen die Mädchen.

Dennoch wird ein schwuler Prinz vorgeschlagen, die Mädchen amüsieren sich köstlich. Plötzlich schlägt ein Mädchen eine lesbische Prinzessin vor. Die Jungs sind heimlich erleichtert, die Mädchen wollen sofort alle diese Hauptrolle spielen…“…aber küssen Frau Bruhn, das geht doch nicht!“

Eines unserer stilleren und schüchternen Mädchen findet das gar nicht schlimm, denn die Prinzessin wird nicht küssen müssen, da sie ja gar keinen Prinzen heiraten will.

Schon ist unsere Geschichte zum Greifen nah. Da es wie fast immer im Märchen eine anstrengende Mutter, oder eine böse Schwiegermutter gibt, ist es auch klar, dass die Prinzessin Ärger bekommen wird.

Und was ist mit unserer Liebesgeschichte? Ist doch klar, die Prinzessin heiratet am Ende ihre große Liebe, eine Frau! Geboren ist „Die Märchenbraut“

Unsere Stille wird überraschend die Prinzessin, sie leiht sich eine coole Lederjacke. Die kleine Freche ist eine geborene Königin. Die Coolste gibt die dauerverliebte, von Jungs schwärmende, schicke Schwester. Ein Junge, der sonst nie ein Prinz ist, wird der Prinz und der vermeintliche Held ist ein Gauner. Ein Apothekerpärchen wird erfunden, alle arbeiten sie daran, die Prinzessin „normal“, „vernünftig“ oder wieder „gesund“ zu machen. Vergeblich. Klar, denn „..wenn man schwul ist, ist man schwul Frau Bruhn!“ Am Ende verfällt die Fee, dem Charme der Prinzessin. Statt sie zu verzaubern, verliebt sie sich in sie. Es gibt eine Doppelhochzeit, denn die Schwester heiratet den Prinzen. Frau Königin ist froh, sie wird Enkel haben.

Es wird sogar geküsst, hinter einem roten Pappherz!

Besser hätten wir das in keinem Märchenbuch gefunden!

Und besser lernt man keinen Text, als den selbst erdachten. Schöner ist kein Glücksgefühl, als das beim Hören des Applauses und – dass man es geschafft hat zu spielen, auf einer richtigen Bühne vor echtem Publikum, bei ‚Klatschmond‘!

(Alexandra Bruhn, Dezember 2016)